In Lüneburg kommen Deutsche und Flüchtlinge durch das Malen miteinander ins Gespräch
„Fürchte dich nicht“ ist ein Wort, das Sigrid Allewelt-Schanter an diesem Nachmittag gleich ein paar Mal sagt. Im ökumenischen Kirchenzentrum St. Stephanus lädt sie Deutsche und Flüchtlinge ein, über Kreativität ins Gespräch zu kommen.
Bunter und vielfältiger als Kaltenmoor kann ein Stadtteil kaum sein: Hier leben seit Jahren Menschen aus allen Teilen der Welt. Sind es 50 Nationen, vielleicht sogar mehr? Da muss sogar die ehemalige Lehrerin passen. Eines aber ist jetzt besonders wichtig: „Zwischen denen, die in den vergangenen Jahren in Lüneburg mehr oder weniger heimisch geworden sind und den Flüchtlingen, die in den letzten Monaten zu uns gekommen sind, darf es nicht zu Konflikten kommen.“ Das ist einer der Gründe, warum Sigrid Allewelt-Schanter eingeladen hat, im Keller von St. Stephanus gemeinsam zu malen.
Heute trifft sich die Gruppe zum zweiten Mal. Nach einem vielversprechenden Auftakt vor einer Woche beginnt der heutige Nachmittag eher verhalten: Die Frau aus Russland hat sich entschuldigt. Vielleicht sei sie ja nächstes Mal wieder dabei? Eine junge Peruanerin muss sich dringend um andere Dinge kümmern. Und was ist mit den Syrern? Die kommen nach und nach: Remon, ein junger Mann und seit ein paar Monaten in Lüneburg, wird begrüßt wie ein alter Bekannter. „Die anderen kommen gleich“, sagt er. Deutsch hat er in der kurzen Zeit erstaunlich gut gelernt. Die anderen – das sind seine Schwestern Rima und Maya, Mutter Noura und Cousine Avlen.
Ein bisschen erinnert der Auftakt an kirchliche Jugendarbeit in den siebziger Jahren: Deutsche und Syrer sitzen im Kreis, werfen sich ein Wollknäuel zu und stellen sich vor. Aber das Beziehungsnetz, das hier im Sinne des Wortes gespannt wird, spielt in diesem Fall eine wichtige Rolle. Es geht nicht um gruppendynamische Spielereien, sondern schlicht und ergreifend darum, auf einfache Weise Kontakt aufzunehmen: Jeder stellt sich vor und kennt den anderen anschließend beim Namen. Und wer den anderen persönlich ansprechen kann, der nimmt eher und selbstverständlicher Kontakt auf als mit einem Fremden.
Darum ging es Sigrid Allewelt-Schanter, als sie sich spontan entschloss, Deutsche und Flüchtlinge, Alteingesessene und Neuzugezogene zu diesem Nachmittag in St. Stephanus einzuladen: Natürlich soll gemeinsam gemalt werden. Aber viel wichtiger sei es, den anderen als Bereicherung zu erleben. „Jeder soll merken, dass er willkommen ist“, sagt sie. Längst nicht für jeden in diesem Kreis ist diese Erfahrung eine Selbstverständlichkeit.
Es geht natürlich auch um Farben, um Techniken. Aber es steckt mehr dahinter: Farben zu mischen hat durchaus etwas symbolisches. Mit Rot, Blau und Grün auf ein weißes Blatt Papier zu malen ist nicht selbstverständlich für jemanden, der gerade die Grausamkeit des Bürgerkrieges und die Unsicherheit einer Flucht hinter sich gelassen hat. Malen kann das Herz beruhigen.
Keinen Kunstworkshop im klassischen Sinn will Allewelt-Schanter anbieten. Hier geht es um mehr: Ins Gespräch kommen, aufeinander zu zu gehen, Angst überwinden. Am Ende vielleicht sogar das Fremde als Bereicherung empfinden.
Und am Ende dieses zweiten Nachmittags steht fest, dass sich die Gruppe auch künftig treffen wird – mindestens bis zum Frühjahr. „Vielleicht können wir unsere Bilder dann in einer kleinen Ausstellung zeigen“, sagt Sigrid Allewelt-Schanter.