Jahrelang beschäftigte der Gandersheimer Stiftsstreit um das Jahr 1000 die Mächtigen in Reich und Kirche. Mittendrin war auch die Stiftsdame und spätere Äbtissin Sophia.
Wer von hohem Rang war und etwas auf sich hielt, stiftete in damaliger Zeit Kirchen, Klöster oder Stifte – oder alle drei. „Das gehörte zum guten Ton. Man tat es für das eigene Seelenheil, um in seiner Kirche begraben zu werden und um sich die Kirche mit ihren zum Teil mächtigen Bischöfen gewogen zu machen“, erklärt Thorsten Henke vom Gandersheimer Portal für Geschichte.
In Brunshausen hatten die Liudolfinger einen Herrschaftssitz. Er lag günstig an der Heerstraße von Mainz zur Nordsee und zentral im Herrschaftsgebiet dieses einflussreichen sächsischen Adelsgeschlechts. Wahrscheinlich Ende des 8. Jahrhunderts wurde von ihnen auch das Kloster Brunshausen gegründet, eindeutig auf dem Hildesheimschen Ufer der Gande.
Stiftskirche als Grablege erbaut
Doch Graf Liudolf (805-866) und seiner Frau Oda schwebte mehr vor, meint der Historiker: „Sicherlich wollten sie ein Reichsstift, mit großem Ansehen und auch politischem Einfluss.“ Deshalb gründeten sie das Kanonissenstift Gandersheim, eine Gemeinschaft unverheirateter Töchter hochadeliger Familien, die in diesem Stift ein gottgefälliges Leben führen wollten. Und ganz nebenbei schuf er mit der Stiftskirche eine Grablege für sich und seine Familie. Die ersten Äbtissinnen waren dann auch Töchter des Fürstenpaares: Hathumod, Gerberga und Christina. Bei der Gründung des Stiftes Gandersheim wurde er unterstützt vom Hildesheimer Bischof Altfrid (851-874), der, wie auch seine Nachfolger, die Einkleidung der Kanonissen vornahm.
Doch das ist Ursache des kommenden Streits: „Kirchenrechtlich wäre eigentlich der Mainzer Fürstbischof zuständig gewesen, denn Gandersheim lag eindeutig auf Mainzer Bistumsterritorium“, erläutert Henke. Über diese Tatsache hat man aber bewusst oder unbewusst hinweggeschaut – bis sich ein zwölfjähriges Mädchen im Jahre 989 weigerte, vom Hildesheimer Bischof Osdag (985-989) eingekleidet zu werden. „Sie hatte ihren eigenen Kopf und der Mainzer Fürstbischof Willigis war ihr eben lieber“, berichtet Henke. Da dieses Mädchen niemand geringeres war als Sophia, die Tochter Kaiser Ottos II. und ältere Schwester von Otto III., dem Zögling des späteren Bischofs Bernward, galt dieser Zwischenfall in Kirchenkreisen als Krise.
Nur zu gern war Willigis bereit, dem Wunsch der Kaiserstochter nachzukommen. Doch Osdag intervenierte und wurde beim Mainzer Erzbischof und Erzkanzler vorstellig – einem der mächtigsten Männer des Reiches und der Kirche. Hatte doch Papst Benedikt II. bei Willigis Wahl zum Erzbischof 975 diesem die Vormachtstellung über alle anderen Bischöfe in kirchlichen Dingen eingeräumt, was Willigis zum zweiten Mann nach dem Papst machte.
Kompromiss bringt nur kurzzeitig Ruhe im Streit
Osdag handelte einen Kompromiss aus. Sophia wurde von beiden Bischöfen eingekleidet, alle anderen Stiftsdamen aber nur von Osdag. Der Hildesheimer Bischof zeigte an diesem Tag großes diplomatisches Geschick. So soll er und nicht Willigis Kaiser Otto und Kaiserin Theophanu gefragt haben, ob sie mit der Einkleidung ihrer Tochter einverstanden seien und unterstrich so den Hildesheimer Jurisdiktionsvorrang. Und er nahm den Stiftsdamen – inklusive Sophia – das Versprechen des Gehorsams gegenüber den Bischöfen von Hildesheim ab. Sogar Sophia bejahte.
Damit kehrte vorerst Ruhe im Gandersheimer Stiftsstreit ein bis Sophia, die zwischenzeitlich am kaiserlichen Hof gelebt hatte, 997 nach Gandersheim zurückkehrte. Sie nutzte die lange Krankheit der hochangesehenen Äbtissin Gerberga II., um im Konvent gegen Bischof Bernward (993-1022) zu hetzen. Sophias Einfluss wuchs mehr und mehr. Bald wurde sie als zukünftige Äbtissin angesehen, die sie dann auch 1002 wurde.
Zum Aufflammen des Gandersheimer Streits kam es im Jahre 1000, als die nach einem Brand 973 zerstörte und wieder aufgebaute Stiftskirche geweiht werden sollte. Willigis und Bernward nahmen dieses Recht für sich in Anspruch. Weder eine von Willigis nach Gandersheim einberufene Provinzialsynode, eine heimliche Reise Bernwards nach Rom, noch eine von Papst und Kaiser anbefohlene sächsische Synode unter Leitung eines päpstlichen Legaten brachten eine Einigung im Streit und die Stiftskirche konnte nicht geweiht werden. Im Jahre 1006 entschied dann der Kaiser Heinrich II. per Urkunde und zwar zugunsten Bischof Bernwards. Mit der Konsekration der Stiftskirche am 5. Januar 1007 wurde der Gandersheimer Stiftsstreit, der über Jahre das Reich und die Kirche beschäftigt hatte und einen ziemlichen Imageschaden hinterlassen hatte, beigelegt.