Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mussten Millionen Deutsche ihre Heimat östlich der Oder-Neiße-Linie verlassen. Vor 70 Jahren traten die großen Flucht-, Vertreibungs- und Umsiedlungsbewegungen, die Ost- und Mitteleuropa seit dem Ersten Weltkrieg erschüttert hatten, in ihre letzte Phase. Hier erzählen drei Frauen, wie sie zusammen mit ihren Familien unter zumeist tragischen und grausamen Umständen ihre Heimat verlassen mussten.
Am 27. Januar 1945 wurde die Familie Kaspera aus Neumarkt evakuiert. Die Eltern von Johanna Kaspera verschlossen ordentlich ihre Wohnungstür im Vorderhaus der Junkernstraße 11. Sie waren sich so sicher, bald wieder zurückkehren zu können, dass sie und viele Verwandte ihre Wertsachen in der Wohnung versteckt hatten. Nach einer Irrfahrt, die später im Landkreis Schaumburg endete, blieb nur der Hausschlüssel.
Mai 1946. Maria-Theresia Kollenda, geborene Gorniak, hatte mit Mutter und Geschwistern die Breslauer Festungszeit überstanden, am Dom war die Familie verschüttet worden. „Straßenweise wurden wir jetzt vertrieben. Am Bahnhof stand ein endlos langer Zug mit Viehwaggons. Eine Woche eingepfercht. Hunger, Durst. Alte stöhnten, Kinder weinten, eine Frau starb unter uns. Keine Toilette, unerträglicher Gestank.“
Der 20. Juni 1946. Ein warmer Tag. Vor der Pfarrkirche von Tillowitz wehen die Kirchenfahnen. Die kleinen Polinnen haben für die Fronleichnamsprozession ihre Kommunionkleider angezogen. Die Mütter stecken die Blumenkränze fest. Die Polen bleiben an diesem Festtag unter sich: Noch bevor die Prozession beginnt, werden die Deutschen aus dem Ort getrieben. Margarethe Michalke, damals 20, erinnert sich: „Wir erfuhren erst am Abend zuvor, dass wir Tillowitz verlassen mussten“. Die heute 80-Jährige lebt in Bokeloh bei Wunstorf. „Morgens um sechs wurden wir wach vom Brüllen und Klopfen der Vertreibungskommision. Wir hatten nur wenig Gepäck, aber selbst das wurde am Bahnhof von Neisse durchsucht und geplündert.“
Dieser Fronleichnamstag ist für die Tillowitzer Katholiken der Schlusspunkt trauriger Erfahrungen mit polnischen Glaubensbrüdern: Als im Sommer 1945 der polnische Pfarrer in den Ort kommt, wirft er umgehend den Kaplan aus dem Pfarrhaus. Nichts außer seiner Soutane und einer Trainingshose darf er mitnehmen. Die deutsche Sprache im Gottesdienst ist ab sofort verboten.
Barbara Wienzek aus Mandelsloh war bis zur Vertreibung aus dem schlesischen Eckersdorf Sekretärin der Gemeinde Peter und Paul. Sie beobachtet, dass Pfarrer Georg Wengler von seinem polnischen Mitbruder bestohlen wird: „Er nahm sich einfach, was ihm gefiel.“ Und: „In seinen Predigten ermunterte er sogar, die Deutschen zu bestehlen. Das sei keine Sünde.“ Barbara Wienzek konnte kaum glauben, was sie da hörte: „Gegen Gewissensbisse gab er den seelsorglichen Rat, auf das Diebesgut einen Rosenkranz zu legen. Dann müsse man nicht einmal beichten.“