Dieses Leben hatte viele Seiten

In der Duderstädter Schreibwerkstatt wurden schon viele Biografien geschrieben

Es ist eine Reise in die Vergangenheit. Wer sich aufmacht, braucht durchaus auch Mut. Denn über das eigene Leben zu schreiben ist überraschend und spannend, aber manchmal auch schmerzlich. Langweilig, wie mancher denken könnte, ist es nie. Ein Werkstattbericht.

Viele Seiten hatte Gisela von Rabenau geschrieben, monatelang – manchmal wie eine Besessene und nicht selten bis in die Nacht hinein. Jetzt passt ihr Leben zwischen zwei Buchdeckel. Ein Bestseller wird es nie, lesen dürfen es nur die nächsten Angehörigen. Aber für Gisela von Rabenau war es ein Befreiungsschlag: „Ich kramte in meinem tiefsten Inneren und entdeckte viele belastende Erlebnisse, die auch heute noch mein Handeln bestimmen. Zeitweise heulte ich wie ein Schlosshund“, sagt sie. „Aber ich befreite mich von schmerzhaften Erfahrungen und bekam Flügel. Täglich flog ich höher und entfernte mich von den Erinnerungen. Es war ein tolles Gefühl.“

Treffen im Haus der Senioren in Duderstadt

Schreiberfahrungen austauschen, sich gegenseitig unterstützen, Mut machen – das steht im Mittelpunkt der Treffen.

Keine Lebensgeschichte gleicht der anderen

Keine Lebensgeschichte gleicht der anderen. Und jeder hat seinen Grund, sie aufzuschreiben.

Margarete Germershausen

Als Margarete Germershausen (links) vor sechs Jahren die Idee zur Schreibwerkstatt hatte, war sie überrascht von der Resonanz.

Biografien aus der Schreibwerkstatt

Viele Biografien sind inzwischen mit Unterstützung der Schreibwerkstatt als Bücher erschienen.

Hier gibt es Tipps und Ermutigung

Das eigene Leben mit all seinen Höhen und Tiefen steht im Mittelpunkt für die Frauen und Männer, die sich regelmäßig zur Schreibwerkstatt treffen. Hier, im „Haus der Senioren“ in der Duderstädter Altstadt, bekommen sie Anregungen, Tipps und ganz praktische Unterstützung, vor allem aber – und das ist vielleicht am wichtigsten – gegenseitige Ermutigung. 

Viele Lebensläufe sind in den vergangenen sechs Jahren auf diese Weise als Buch erschienen. Sie sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sie aufgeschrieben haben. Die eine plaudert „Aus dem Nähkästchen einer Priestermutter“, eine andere berichtet über „Mein Leben im German Guest House in London“. Hier sind es „Briefe aus der Gefangenschaft“, dort „Splitter der Erinnerungen“. „Kassandrarufe“ kündigt ein Titel an, ein anderer fragt: „Mein Leben – 08/15?“. 

Das „Schreiben über mich selbst“, wie es der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil nennt, reicht zurück bis zu den „Bekenntnissen“ des Kirchenvaters Augustinus im 4. Jahrhundert. Manch literarische Höhepunkte haben sich aus diesem Genre entwickelt. 

Solche Ansprüche hat keiner, der zur Duderstädter Schreibwerkstatt kommt. Aber jeder bringt seine eigene Geschichte mit: der Entwicklungshelfer, der für Misereor als landwirtschaftlicher Berater auf der ganzen Welt im Einsatz war. Die Pfarrhaushälterin, die den Führerschein gemacht hat, weil der Pfarrer, ein holländischer Missionar aus Ghana, nur den Linksverkehr kannte und sich nach einem Unfall nicht mehr hinter das Steuer wagte. Die Frau, die in Südafrika aufgewachsen ist. Der Mann, der seine  Burn-Out-Erkrankung dokumentiert hat. 

 

„Für unser Leben hat sich lange niemand interessiert“

Geschrieben wird übrigens nicht, wenn die Gruppe alle zwei Wochen zusammenkommt. Das macht jeder für sich. Schwerpunkt ist der Austausch: Wie komme ich voran? Wie kann ich eine Schreibblockade überwinden? Welche Anregungen von anderen kann ich aufgreifen? „Die Ratschläge, die ich hier bekomme, sind Gold wert“, sagt Anneliese Baudis. Wichtig ist das Gespräch auch aus anderen Gründen: „Wir kommen fast alle aus einer Generation, die Krieg und Vertreibung, Not und Elend mitgemacht hat. Aber mit unseren Erlebnissen mussten wir allein fertig werden, keiner hat sich dafür interessiert. In dieser Runde können wir darüber sprechen.“ 

Und moderne Technik macht möglich, was bis vor ein paar Jahren noch unbezahlbar war: Am Ende hält jeder ein eigenes Buch mit seinen Erinnerungen in der Hand – eine Mini-Auflage, mal zehn, mal 50 Exemplare. Die sind vor allem für den Kreis der Familie bestimmt. Nicht immer herrscht dann ungetrübte Freude über die biografischen Aufzeichnungen, ist eine der Erfahrungen. Denn wer nicht nur selbstkritisch über sich selbst schreibt, muss durchaus auch mit Ärger rechnen. Die Männer und Frauen der Schreibwerkstatt sehen so etwas mit der Gelassenheit des Alters: „Ich versuche, so objektiv wie möglich meine Erlebnisse zu schildern und die Wahrheit beim Namen zu nennen, ohne schmutzige Wäsche zu waschen“, sagt eine aus der Runde. „Vorsichtshalber habe ich in mein Buch ein paar leere Seiten einfügen lassen. Da können meine Geschwister dann ihre Sicht der Dinge niederschreiben.“

Unser Bistum: 
Duderstadt, Niedersachsen
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