Wahrscheinlich war es besser, sich nicht mit ihm anzulegen: Domherr Bruno scheint ein strenger Mann gewesen zu sein. Einen Mitbruder aus dem Domkapitel verklagte er sogar in Rom, weil er sich unberechtigter Weise einen Fischteich für den eigenen Bedarf reserviert hatte. Bruno bekam Recht und der Fischteich bereicherte wieder den Speiseplan des Domkapitels. Erst Jahrhunderte später musste er der Kreisstraße 401 weichen.
Bruno, der im Jahr 1200 starb, war Cellerar des Domkapitels, also Chef des Haushalts und verantwortlich dafür, dass die geistlichen Herren mit Brot, Bier, Wein und Fleisch versorgt wurden. Für sein hohes Ansehen spricht ein Brief, in dem ein Adliger den greisen Bruno bat, die Erziehung seines Sohnes zu übernehmen. Bruno lehnte höflich ab: In seinem Alter könne er nicht mehr die nötige Strenge an den Tag legen, die zur Erziehung der Jugend nötig sei.
Domherr Bruno hinterließ einzigartiges Kunstdenkmal
Umso überraschender, dass Bruno sich offenbar von der Nachwelt wünschte, sie möge ein anderes Bild von ihm in Erinnerung behalten. Im Kreuzgang des Domes, an der südlichen Außenwand des Chores, hängt seine Grabplatte – ein einzigartiges Kunstdenkmal seiner Zeit. Der Historiker Dr. Christian Schuffels von der Universität Kiel vermutet, dass Bruno sie zu seinen Lebzeiten selbst in Auftrag gegeben hat.
Bruno stellt sich auf dem Grabmal äußert bescheiden dar. Statt mit seinen Titeln nennt er sich einfach nur „Presbyter“, Priester. Bilder und Texte ergänzen sich gegenseitig, um dem Betrachter deutlich zu machen: Bruno hat die Forderung des Evangeliums erfüllt und sein Eigentum den Armen gegeben. Im unteren und größten Teil des Reliefs sieht man den aufgebahrten Leichnam Brunos, in ein bescheidenes Leichentuch gewickelt. Zwei Geistliche bemühen sich liebevoll um den Toten. Einer fasst ihm unters Kinn – für die Zeitgenossen war das unmittelbar verständlich als Geste der Zuneigung.
Die Mienen der Kleriker sind gefasst. Anders die armseligen Gestalten, die sich in Lumpen und mit Krücken zu Brunos Füßen und um seine Körpermitte drängen: Sie lassen ihrer Trauer freien Lauf. Auch auf anderen Grabmalen kirchlicher Würdenträger wird dargestellt, wie die Armen beim Begräbnis Almosen erhalten und im Gegenzug angehalten sind, für den Toten zu beten. „Doch eine so unmittelbare Nähe zu den Armen ist in der Kunst der Zeit einzigartig“, sagt Historiker Schuffels.
Letzte Ruhestätte des Domherrn gefunden?
Einer der Trauernden scheint sogar ein Stück aus dem Leichentuch herauszureißen, als wolle er sich eine Reliquie eines angehenden Heiligen sichern. Anlass für Spekulationen: Wollte sich Bruno selbst etwa als Kandidat für eine Heiligsprechung ins Spiel bringen?
Auf jeden Fall beweisen Dokumente aus späterer Zeit, dass Brunos Botschaft an die Nachwelt ankam: Als „Vater der Armen“ ging er in die Bistumsgeschichte ein. Es kann sein, dass bei den archäologischen Grabungen im Dom sogar seine letzte Ruhestätte gefunden wurde. Möglicherweise lag die Steinplatte ursprünglich über genau jenem Grab in der Krypta, das bis jetzt nur als „unbekannte Klerikergruft“ bekannt war.