Am 6. Juli 1945 starb Adolf Kardinal Bertram auf Schloß Johannesberg im tschechoslowakischen Teil der Erzdiözese Breslau. Dr. Thomas Scharf-Wrede, Leiter des Bistumsarchivs, erinnert in einem Gespräch an den vormaligen Bischof von Hildesheim und letzten Fürstbischof von Breslau.
Kardinal Bertram wurde immer wieder eine Nähe zum Nationalsozialismus nachgesagt. Ist das heute noch haltbar?
Mit Sicherheit nicht. Bertram ist für mich eine faszinierende, kirchenprägende Persönlichkeit, die aus der deutschen Kirchengeschichte nicht wegzudenken ist. Spätestens nach einem wissenschaftlichen Symposium in Breslau und Hildesheim vor einiger Zeit steht fest: Es gab keine Nähe zum Nationalsozialismus – auch wenn er nicht lautstark dagegen gewettert hat.
Wie kam es zu dem Missverständnis?
Das lag an Bertrams Arbeitsweise. Schon als Bischof von Hildesheim, besonders als es für Katholiken im Braunschweiger Land schwierig war, hat er die Erfahrung gemacht, dass über Briefwechsel und das persönliche Gespräch Lösungen gefunden werden können. In Braunschweig wurden so Gemeindeneugründungen und die Errichtung von katholischen Schulen möglich. Diesen Weg hat Bertram auch gegenüber den Nazis verfolgt. In unzähligen Eingaben, die er gemacht hat, wird deutlich, dass er dem Regime und dessen Politik ablehnend und sehr kritisch gegenüberstand.
Wie war Bertram politisch einzuordnen?
Er war ein Kind seiner Zeit, ein Patriot, dem das Wohl des Vaterlandes am Herzen lag. Mit den extremen politischen Strömungen des beginnenden 20. Jahrhunderts wie Kommunismus oder Nationalsozialismus hat er sich intensiv auseinandergesetzt. Er bemängelte ganz offen, dass sie zu extrem und einseitig seien, und lehnte sie ab, da Gott in ihnen nicht vorkäme.
Welche Rolle hat Bertram als Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz (1919–1945) gespielt?
Bertram versuchte nach Harmonie zu streben. Wenn er etwas im Namen der Bischofskonferenz schrieb, hat er immer die Meinungen anderer berücksichtigt und in seine Texte eingearbeitet. Er beharrte nicht auf seiner Position und seinem Text. Da war er diplomatisch. Aber vieles von seiner Überzeugung ging vermutlich auf diesem Weg verloren. Er war auch vehement gegen den Abschluss eines Reichskonkordats unter den Bedingungen des Jahres 1933 und hat seine Argumente gegen diesen Vertrag des Vatikans mit den Nazis schriftlich dem damaligen Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli mitgeteilt – ohne Erfolg; das Verhältnis zwischen Bertram und Pacelli war übrigens sowieso nicht das beste.
Das Ergebnis des Bertram-Symposiums liegt jetzt in Buchform vor. Wie lautet das Fazit zu Bertram?
Sowohl die polnischen als auch die deutschen Wissenschaftler sind sich über die Person Bertrams einig: Er war uneitel, klug und hat sich vom Nazi-Pomp nicht blenden und vereinnahmen lassen. Auch hielt er eine professionelle Distanz zu den Behörden und versuchte das Mitführen von Nazifahnen und das Tragen von Naziuniformen im Gottesdienst zu unterbinden. Bertram war ein Mann der leisen Töne. Seine Lebenserfahrung sagte ihm, dass laute Aufschreie selten was bringen, aber oft das Gegenteil bewirkten. Seine Schwierigkeit war, immer einen Weg zu finden, der für alle positiv war – nicht nur für die Katholiken. Wenn man von seinem Vermächtnis spricht, dann ist das – zumindest für Hildesheim – seine Bistumsgeschichte, die noch heute als Grundlagenwerk dient. Wer sich mit der Bistumsgeschichte bis in die 1920er-Jahre beschäftigt, kommt daran nicht vorbei.