Staat und katholische Kirche in Niedersachsen – das ist kein Verhältnis wie jedes andere. Das zeigt schon ein Rückblick auf den 26. Februar 1965. An diesem Tag wurde der erste Vertrag zwischen dem Land und der Kirche unterzeichnet: Auf niedersächsischer Seite vom amtierenden Ministerpräsidenten, dem Sozialdemokraten Georg Diederichs. Seitens der Kirche wurde er aber nicht von den Bischöfen in Niedersachsen, sondern vom damaligen Apostolischen Nuntius Corrado Bafile, dem Botschafter des Heiligen Stuhles in Deutschland, unterzeichnet.
Der Vertrag zwischen dem Bundesland und der römisch-katholischen Kirche ist ein sogenannter Staatskirchenvertrag. Er ist vergleichbar mit völkerrechtlichen Verträgen zwischen Staaten, da der Papst auch gleichzeitig Oberhaupt des Vatikanstaates ist – des Heiligen Stuhles. Da nach der Verfassung der Bundesrepublik bestimmte Politikbereiche Ländersache sind (zum Beispiel das Schulsystem oder die Hochschulausbildung), können auch Bundesländer eigenständig Verträge mit dem Heiligen Stuhl schließen. Das Fachwort für diese Verträge ist Konkordat (lateinisch Concordatum für „Vereinbarung, Vertrag“).
Kern des Konkordats ist eine, wie es juristisch heißt, ‚Freundschaftsklausel’. Beide Vertragspartner verpflichten sich einen ständigen Kontakt herzustellen und etwa entstehende Meinungsverschiedenheiten „auf freundschaftliche Weise zu beseitigen“. Diese Klausel hat eine besondere Geschichte. Denn vor dem Konkordat haben das Land und die katholische Kirche eine heftige Auseinandersetzung geführt.
Zu Beginn der 1950er-Jahre gehörte die Schulpolitik zu den umstrittenen Angelegenheiten in der noch jungen Bundesrepublik. Konfessionell gebundene Bekenntnisschule oder christliche Gemeinschaftsschule, das war die zentrale Frage. Das Land setzte auf eine Schule, in der alle Kinder zwar nach christlichen Grundlagen, aber unabhängig von der Konfession, unterrichtet werden sollten. Die katholische Kirche dagegen berief sich auf das Reichskonkordat aus dem September 1933, also nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. In diesem Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich war die Schulfrage ausführlich geregelt – mit einer Garantie für die katholische Bekenntnisschule.
Zwar hatte bereits 1957 das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass das Reichskonkordat weiterhin Gültigkeit hat. Die Bundesregierung hatte, auch aufgrund einer Intervention des Heiligen Stuhles, das Land Niedersachsen verklagt. Argument der Adenauer-Regierung: Niedersachsen habe durch den 1954 erfolgten Beschluss, die Gemeinschaftsschule Regelschule werden zu lassen, das Konkordat und damit einen höher zu wertenden internationalen Staatsvertrag verletzt. Trotzdem brachte das Urteil keine Klarheit: Die Richter nahmen die Bildungspolitik von der Bindung durch das Konkordat aus. Schule war und ist Sache der Bundesländer.
So ging der Streit weiter. Doch die Einsicht auf beiden Seiten wuchs, zu einer Verständigung zu kommen: Nicht nur in der strittigen Schulfrage, sondern im grundsätzlichen Verhältnis zwischen Niedersachsen und katholischer Kirche. So regelt das Niedersachsenkonkordat von 1965 nicht nur die Beibehaltung und Neuerrichtung von katholischen Bekenntnisschulen.
Der Vertrag sieht die Gründung einer theologischen Fakultät in Göttingen vor, definiert das Einvernehmen über den Religionsunterricht, berechtigt die Kirche zur Erwachsenenbildung und bekräftigt das soziale Wirken der Kirche. Er räumt ihr zudem die Vertretung katholischer Interessen an Fragen des Rundfunkprogramms ein, verankert die Seelsorge in Krankenhäusern und betont den Schutz des Sonntags sowie der kirchlichen Feiertage. Auch weitere Fragen des Staat-Kirche-Verhältnisses werden einvernehmlich geklärt: der Einzug der Kirchensteuer, die Zahlung von Staatsleistungen zum Zwecke der Pfarrerbesoldung und das Ämterrecht. Das umfasst beispielsweise die Anforderungen für Geistliche bei der Besetzung kirchlicher Ämter und Anfrage vor Ernennung eines Bischofs bei der Landesregierung, ob Bedenken gegen den Kandidaten bestehen.
In den vergangenen fünf Jahrzehnten wurde das Konkordat wiederholt geändert, um aktuellen Entwicklungen Rechnung zu tragen: vor allem in der Schul- und Hochschulpolitik, zuletzt bei der Einführung der Oberschulen. Der Vertrag war der erste, der nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen einer Landesregierung und der katholische Kirche geschlossen wurde – und der inhaltlich weitreichendste.
Trotz des Vertrages und der ihm innewohnenden Freundschaftsklausel ist das Verhältnis von Staat und Kirche nicht spannungsarm. Schließlich mischt sich die Kirche einerseits in aktuelle politische Fragen ein: mit der Pflegekampagne, mit Stellungnahmen zur Flüchtlingspolitik oder zum Atommüll oder gegen die Ausbeutung von Arbeitern in der Fleischindustrie. Andererseits ist auch die Haltung der Kirche selbst nicht unumstritten: das kirchliche Arbeitsrecht ist da ebenso ein Beispiel wie die Zahlung von Staatsleistungen oder die Feiertagsruhe.