Braunschweiger Land: Protestsymbol gegen Atommüll

Es ist ein Fotomodell ohne Schokoladenseite, das sich Annette und Thomas Blume vor die Linse geholt haben. Es räkelt sich nicht vor der Kamera, es hat keine Traummaße und es verzichtet stets auf Make-up. Es steht bloß stumm da, dürr und hölzern, selbst eine Schaufensterpuppe sieht besser aus. Ein Hingucker ist dieses Fotomodell trotzdem.

Schon von Weitem sieht man es, gelb und leuchtend. Das Fotomodell, das das Ehepaar viele Male abgelichtet und nun in einem Fotoband versammelt hat, ist der Buchstabe A. Aus Holzlatten zusammengezimmert und gelb gestrichen, ist das A in den vergangenen Jahren im Braunschweiger Land zu einem Protestsymbol geworden.

Annette und Thomas Blume

120 Fotos des für das Braunschweiger Land schon charakteristisch gewordenen Asse-A vereinen Annette und Thomas Blume in ihrem Bildband

Udo Dettmann

A wie aufpASSEN: Auch Udo Dettmann zeigt Widerstand.

Landkarte Endlager Asse

Es ist das Zeichen der Gegner des umstrittenen Atommüll-Endlagers in dem alten Salzbergwerk Asse im Kreis Wolfenbüttel. Der Schriftzug „aufpASSEn“ prangt auf jedem A, es ist der Name des Vereins, der sich – ebenso wie mehrere weitere Organisationen und Bürgerinitiativen – zum Ziel gesetzt hat, auf die Probleme aufmerksam zu machen, die die Lagerstätte verursacht.

Probleme unter Tage gibt es reichlich: Zwischen 1967 und 1978 wurden hier rund 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen eingelagert. Die Anlage ist einsturzgefährdet, zudem fließen pro Tag rund 12 Kubikmeter salzhaltiges Grundwasser in das Bergwerk ein – die Asse droht abzusaufen.

Die Bürger aus der Umgebung des maroden Salzstocks drängen deshalb seit Langem darauf, dass die Behälter mit den radioaktiven Substanzen endlich geborgen werden. Ein elf Meter hohes A in der Nähe des Eingangs zum Bergwerk verleiht dieser Forderung einen weit sichtbaren Ausdruck, es ist das mit Abstand größte der weit verbreiteten Holzzeichen.

Die meisten Exemplare sind etwa einen Meter groß und hängen an Hauswänden oder stehen auf Balkonen, die ganz kleinen baumeln an Auto-Rückspiegeln oder Fahrrädern. Gedruckt ziert das Zeichen T-Shirts, Anstecker und Aufkleber. Egal, wo der Buchstabe steht, hängt oder klebt, die Botschaft ist stets gleich: Das gelbe A mahnt den umsichtigen Umgang mit Atommüll an.

 

Als das Braunschweiger Ehepaar Blume per Zufall ein Asse-A auf einer Autobahnraststätte nahe Hamburg entdeckte, beschloss es, die gelben Mahn- und Warnzeichen in seiner Region zu fotografieren. „Wir fragten uns: Wenn sogar so weit vom Endlager entfernt ein A hing, wie viel mehr mochten es dann in der Nähe der Asse sein?“

Fast ein Jahr lang ging das Paar dieser Frage nach und spürte dem A mit der Kamera hinterher. Die Sammlung, die dabei entstand, dürfte kaum vollständig sein, aber umfangreich ist sie schon: 2500 Fotos mit etwa 450 verschiedenen Objekten. Eine Auswahl daraus bietet nun ein Bildband mit dem Titel „A wie aufpASSEn“.

Das Buch enthält 120 Aufnahmen, die den Widerstand der Bevölkerung gegen die unterirdische Müllkippe in ihrer Nachbarschaft dokumentieren. „Eine ganze Region zeigt Protest: Landwirte, reiche Leute, Menschen, die in ganz modernen Häusern wohnen. Das sind nicht nur die Ökos, sondern auch diejenigen, die ihren Rasen vielleicht mit der Nagelschere schneiden würden“, sagt Annette Blume.

Sie ist selbstständige Homöopathin, ihr Mann, ein Mitglied der Gemeinde St. Aegidien, arbeitet als Bibliothekar für die Stadt Braunschweig. Dass die Eheleute in ihrer Freizeit ein Buch herausbringen würden, war nicht geplant, sagt Annette Blume: „Wir sind Laien, ambitionierte Hobbyfotografen. Wir hätten nie gedacht, dass wir unsere Aufnahmen veröffentlichen würden.“

Dass es doch so kam, ist vielen Menschen zu verdanken, die das Asse-A aufgestellt haben. Als die Blumes vor ihren Häusern und Gärten standen, um die hölzernen Aufsteller abzulichten, wurden sie von den Bewohnern ermuntert, ihre Bilder publik zu machen.

Sie haben das Buch im Selbstverlag mit einer Auflage von 500 Exemplaren produziert. Ein befreundeter Grafiker half mit, die Künstler Andreas Maier, Georg Oswald Cott und Bazon Brock schrieben Texte für den Bildband. „Alle, die zum Entstehen beitrugen, haben es umsonst gemacht“, sagt Thomas Blume.

Seine Frau und er wollen kein Geld mit dem Werk verdienen. Wenn die Kosten gedeckt sind, werden die weiteren Einnahmen dem Verein „aufpASSEn“ gespendet. Dieser hatte vor dem Erscheinen des Buches bereits einen Kalender mit den Bildern veröffentlicht.

Im Vorwort des Bildbandes setzt der Schriftsteller Andreas Maier das hiesige Protestsymbol mit den gelben, x-förmigen Anti-Atom-Zeichen in Beziehung, die im Wendland an unzähligen Orten zu finden sind: „Der Widerstand gegen das geplante Endlager Gorleben hat vorgemacht, worum es geht: Sichtbarmachen. Was sichtbar ist, wird endlich wahrgenommen.“

Wahrgenommen hat das gelbe Asse-A auch Peter Altmaier. Als der neue Bundesumweltminister das Bergwerk besuchte, überreichte ihm Heike Wiegel vom Verein „aufpASSEn“ einen Gutschein für ein A aus Holz. Die Einlösung ist an Bedingungen geknüpft, die auf dem Gutschein vermerkt sind, sagt Heike Wiegel. Um das A zu erhalten, müsse der Minister erst „gute Taten vollbracht“ und „endlich ein Gesamtkonzept“ für die Räumung des Endlagers vorgelegt haben.

Annette und Thomas Blume: A wie aufpASSEn. Braunschweig, 2012, 15 Euro. Weitere Informationen und Bezugsmöglichkeiten unter www.a-wie-aufpassen.de im Internet.

Natürlich haben seine Familie und er ein „A“ vor dem Haus stehen: Udo Dettmann ist einer der Sprecher des Koordinationskreises Asse II – einem Zusammenschluss von Gruppen, Vereinen, Parteien und Organisationen, die sich mit dem Bergwerk Asse II und der (End)-Lagerung von Atommüll beschäftigen.

Dettmann lebt förmlich in Spuckweite des maroden Bergwerks mit den strahlenden Altlas-ten in 750 Meter Tiefe – und das von Kindesbeinen an: „Ich bin ein Eingeborener“, scherzt er. Gleich hinter seinem Elternhaus verläuft der Bahndamm, über den per Zug Material zur Asse gekarrt wurde. Die Bergleute haben das Ortsbild auch in Denkte geprägt.

„Wir wussten zwar, dass in der Asse Atommüll gelagert wurde – aber das wurde nicht hinterfragt“, erinnert sich Dettmann. Das war einfach so: „So wie jeden Tag die Sonne aufgeht.“ Die ersten kritischen Stimmen Mitte der 1970er-Jahre fallen vor Ort eher unter die Rubrik ‚Spinner‘: „Der damalige Betreiber des Atommülllagers, die Gesellschaft für Strahlenforschung, hat stets betont, dass alles sicher ist“, berichtet Dettmann. Und dass ja ohnehin nur die Lagerung erforscht werden würde. Dem wurde vor Ort Glauben geschenkt: „Auch das war so.“

Heute sagt der an der Ostfalia-Hochschule arbeitende Informatik-Ingenieur: „Das waren zwei Lügen: Nichts ist sicher – das war seit Jahrzehnten bekannt. Und der Müll sollte in der Asse verbleiben.“

Seit 2004 befasst sich Dettmann mit der Asse: Ironischerweise über den Umweg Gorleben und das Studium in Wolfenbüttel. „Politisch haben wir uns im Allgemeine Studierendenausschuss mit der Situation um das geplante Endlager oben im Wendland befasst, mit der nach wie vor ungeklärten Frage, was mit dem Atommüll geschehen soll.“

Zudem reifte im Studium eine Erkenntnis: „Technik ist immer nur bis zu einem gewissen Grad beherrschbar – alles danach ist nur eine Scheinsicherheit.“ Zwar mag die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls in einem Atomkraftwerk vergleichsweise gering sind, die Schadenshöhe ist im Fall der Fälle immens. Das sei nicht zuletzt eine Lehre aus Tschernobyl und Fukushima. „Diese Abwägung hat mir klar gemacht, dass Atomkraft nicht zu verantworten ist.“

So fiel sein Blick vor die eigene Haustür. Dettmann las sich ein, studierte Unterlagen, engagierte sich politisch – und langsam wurde dem „Spinner“ zugehört. 2009 musste auch die Bundesregierung zugeben, dass es ein Fehler war, in einem feuchten Salzbergwerk Atommüll zu lagern. Das hat nun auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtages in dreijähriger Arbeit festgestellt.

Bleibt ein Problem: Was passiert mit dem Müll? „Nach jetzigem Stand der Dinge muss der Müll raus“, meint Dettmann. Denn früher oder später wird sich radioaktive Flüssigkeit einen Weg ins Trinkwasser oder an die Oberfläche gebahnt haben.

Doch wohin mit den geschätzten gut 100 000 Kubikmeter Müll und umgebendes Salzgestein? Vielleicht in den benachbarten Schacht Konrad bei Salzgitter? Dettmann fordert grundsätzlicher an diese Frage heranzugehen: „Atommüll ist ein Problem, das ganz Deutschland betrifft – und nicht nur unsere Generation.“ Es brauche eine gesellschaftliche Diskussion und eine möglichst breite Übereinkunft.

Denn es geht um eine zentrale Entscheidung: Soll der Müll tief unter der Erde verbuddelt oder muss er so gelagert werden, dass er wieder geborgen werden kann.: „So oder so reichen wir dieses Prob-lem an unsere Kinder weiter.“

Seit über einem Jahr führen Bund und Länder Gespräche über das Verfahren für eine Endlagersuche: „Aber von der Logik, wir buddeln ein tiefes Loch, wird sich dabei nicht verabschiedet.“ Und nach dem Geschmack von Dettmann ist viel zu viel Hinterzimmer dabei. Eine Lösung muss sich am Gemeinwohl orientieren: „Das geht nur mit umfassender Bürgerbeteiligung.“

Eines ist dem Asse-Kritiker und den weiteren Engagierten wichtig: „Wir stehen an der Seite der Bergleute.“ Es gehe nicht darum, ihren Arbeitsplatz bei der Asse GmbH in Misskredit zu bringen, sondern im Gegenteil: „Wir setzen uns für die größtmögliche Sicherheit im Berg ein.“

Unser Bistum: